Gerlinde Wurth
»Paradigmatisch für das künstlerische Erneuerungspotential um 1980 ist der radikale Wandel im Werk von Gerlinde Wurth. Mit einem Schlag beendet sie ihre fast zwanzig Jahre andauernde Orientierung an informeller, expressiver Malerei bzw. Arte Povera und widmet sich seither - praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit - mit obsessiver Konsequenz einer eigenständigen künstlerischen Ausdrucksform.« (Dieter Bogner, 1982)
Wie ein geheimer Schlüssel zu Gerlinde Wurths künstlerischer Arbeit der letzten 40 Jahre erscheint eine Erzählung aus ihrer Jugend. Neben ihrem Künstlerinnendasein arbeitete sie bis zu ihrer Pensionierung als Buchhalterin. Ihre kaufmännische Lehre und späteren Berufsjahre absolvierte sie ab 1949 in einer Klaviermanufaktur und ihr Büro lag unter jenem Raum, der dafür verwendet wurde, um die Klaviere zu stimmen. Sie war fasziniert von den monotonen, auf- und absteigenden Tastentönen während des Stimmens und dem damit entstehenden gleichförmigen Rhythmus. Ihre Liebe zur neuen, modernen Musik von Komponisten wie Morton Feldman und Anton Webern war geweckt. Wobei sie aber während ihrer täglichen, vielstündigen künstlerischen Arbeit nur absolute Stille verträgt.
Ein zweites Schlüsselerlebnis fand 1979 statt. Das serielle, wiederholende Hämmern des befreundeten Bildhauers Zbynek Sekal, der für einen Altar in Vorarlberg einen Kupfernagel nach dem anderen in ein Blech getrieben hatte, hinterließ, ähnlich wie das Klavierstimmen zuvor, einen tiefen Eindruck bei Gerlinde Wurth.
Bedingt durch einen gleichzeitigen Umzug und ihren dadurch stark limitierten Zugang zu ihren Malutensilien, begann sie, mit einem Tuschestift einen Strich neben den anderen auf ein Blatt Papier zu setzen.Seitdem füllt Gerlinde Wurth Tag für Tag, Blatt für Blatt, Block für Block mit unendlichen Wiederholungen von Zeichen. Zunächst waren es Striche, dann kam eine kurze Phase von Kästchen und danach und bis heute: Punkte.
Sorgfältig werden die Materialien gewählt - Papier, Format, Tuschestift, Tuschemischung. Jeder Block ist genau datiert vom ersten Punkt bis zum letzten. Die Anordnung der Punkte scheint einem inneren Rhythmus zu folgen. Sie entstehen zufällig, ungeplant. Korrekturen gibt es keine. Ihre zeichnerischen Kompositionen sind dabei durchaus mit musikalischen vergleichbar, besonders mit manchen Stücken der neuen Musik - repetitive Strukturen, Aneinanderreihung und ständige Wiederholung kleinster motivischer Muster.Dabei verweigert sie aber das Spektakuläre, das Virtuose, das Laute. Es sind ihre minimalistisch wiederholenden Bewegungen, die zarten, stillen Gesten derVariation, die eine faszinierende, poetische Vielfalt eröffnen.
Wie Momentaufnahmen vom Vergehen der Zeit scheinen sie wie auf einer steten Suche nach Gegenwärtigkeit zu sein, jedoch ohne möglichen Ausgang und Vollendung. Gerlinde Wurth spricht dabei von »Unendlichkeitspunkten«.
Gerlinde Wurth (*1933 in Wien) lebt und arbeitet in Wien und Gloggnitz.
Ab 1960 lebte sie mehrere Jahre in Schweden, wo ihr die Galerie Brinken 1961 ihre erste Einzelausstellung widmete. Ab 1974 wurde sie in Wien von der Galeristin Grita Insam (damals Modern Art Galerie) vertreten, in Graz arbeitete sie mit dem Galeristen Eugen Lendl zusammen und in Krems bis heute mit der Galerie Kopriva. Nach einer Ausstellung 1982 zog sich Gerlinde Wurth vom Kunstbetrieb völlig zurück und konnte erst 2003 von einem befreundeten Sammler überredet werden, wieder an einer Gruppenausstellung teilzunehmen. 2017 wurde sie mit dem Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst ausgezeichnet. Ihre Arbeiten finden sich in den Sammlungen der Albertina, des Wien Museums und des Mumok Wien.
Gerlinde Wurth is a visual artist, born 1933 in Vienna. She lives and works in Vienna and Gloggnitz. In 1960 she moved to Sweden for several years, where she had her first solo exhibition in 1961. At first, Wurth experimented with various styles, until 1979 when she found radical reductionism, whose uncompromising and tireless juxtaposition of miniature characters has since shaped her work. After an exhibition in 1982, Gerlinde Wurth withdrew from the art scene completely and it was not until 2003 that a friendly collector was able to persuade her to once again participate in a group exhibition. In 2017, she was awarded the City of Vienna Prize for Fine Arts. Her works can be found in the collections of the Albertina, the Wien Museum and the Mumok Vienna.
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AusstellungParallelfiguren